Sexualität und Krebs einfach drüber reden… Inwiefern ist es so wichtig über dieses Thema zu sprechen? Wir hatten die tolle Gelegenheit Amelie Boehm, Psychologin und angehende Sexologin hierzu zu interviewen. Wir haben ihr einige interessante Fragen gestellt. Wie sie zu ihrem Instagram Account einfach.drueber.reden gekommen ist und wie Ihr mit einer veränderten Sexualität umgehen könnt, erfahrt ihr hier.
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Kannst Du Dich selbst kurz vorstellen und erzählen wie Du zu „einfach drüber reden“ gekommen bist?
Ich bin Psychologin und angehende Sexologin und biete in Berlin Sexualberatung und Workshops an. Mein besonderes Anliegen ist es, möglichst viele Menschen dabei zu unterstützen, ihre individuelle Sexualität erfüllend, schambefreit und mit Freude genießen zu können.
Mit einer fremden Person die Themen der eigenen Sexualität zu besprechen, ist für viele Menschen eine große Hürde. Die Meisten wollen vor dem ersten Termin wissen, mit wem sie es zu tun haben werden. Eine Website, auf der ich mich vorstelle, habe ich noch nicht. Also fing ich vor ein paar Monaten mit einem Instagram-Account an.
Ich poste dort Inhalte zu allen möglichen und unmöglichen Sex-Themen und hoffe damit, Menschen ihre Entscheidung für eine Sexualberatung zu erleichtern, wenn sie etwas an ihrer Sexualität verändern wollen.
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Inwiefern ist es so wichtig über das Thema Sex und Krebs zu sprechen?
Eine Krebserkrankung ist häufig eine große Herausforderung für die eigene Sexualität. Auch, weil ihre besonders intensive und langwierige Therapie oft mit körperlichen Veränderungen an sexuell bedeutsamen Stellen verbunden ist.
Bei der Behandlung von Körper und Seele sollte dieser Lebensbereich also auf keinen Fall vergessen werden. Denn positive sexuelle Erfahrungen können das eigene Wohlbefinden und die Paarbeziehung stärken. Das auch inmitten der vielfältigen Neuerungen und Belastungen einer schweren Krankheit.
Gesprochen wird über sich ändernde Sexualität während einer Krebsbehandlung aber nur vereinzelt. Behandelnde Ärzte/innen geben diesem Thema aus verschiedenen Gründen oft nicht genügend Raum. Entweder kennen sie sich damit nicht gut aus, wollen nicht aufdringlich sein, haben nicht genug Zeit oder trauen sich ein solch intimes Gespräch nicht zu. Für viele ist das Thema „Sexualität“ genauso schambesetzt wie für die Patienten/innen, denen es meist ebenso schwer fällt darüber zu sprechen.
Ganz ohne Gespräch, bleiben die Fragen und Probleme der Betroffenen unbeantwortet und unbehandelt.
Sexualität während und nach einer Krebsbehandlung zu thematisieren ist aber wichtig,
- weil Betroffene sich dadurch mit den Veränderungen ihrer Sexualität nicht alleine fühlen,
- weil alleine das Darüber-Sprechen Schamgefühle abbauen und so für mehr Wohlbefinden, Sicherheit und Selbstbewusstsein sorgen kann und
- weil Betroffenen mit Tipps und Tricks oftmals gut geholfen werden kann – aber eben nur, wenn den Ärzten/innen das Problem überhaupt bekannt ist.
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Erschöpfung und auch Müdigkeit nach einer Krebstherapie können das Sexualleben beeinträchtigen. Noch mehr wirken sich Operationen (Prostataentfernung, Blasenentfernung etc.) negativ auf das Sexualleben aus. Was kann man tun?
In der Akutphase der Krankheit steht das Überleben an erster Stelle. Viele Betroffenen haben in dieser Zeit ein großes Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Nähe, während ihre Sexualität eher im Hintergrund steht. Zudem erschweren die Nebenwirkungen mancher Medikamente das Sexualleben, z.B. wenn sie zu vaginaler Trockenheit oder Erektionsstörungen führen.
In der „chronischen Phase“ der Erkrankung, erwachen die Lebensgeister meist wieder und die Lust auf Sex kommt zurück. Mach Dir also keinen Druck, wenn Dir gerade nicht nach aktiv gelebter Sexualität ist!
Dir ist Dein Sexualleben aktuell ein wichtiges Anliegen? Dann empfehle ich Dir, mit jemandem darüber zu sprechen oder darüber zu lesen (Lesetipps unten). Bestimmt gibt es Möglichkeiten, Dein Sexleben trotz der fordernden Umstände erfüllend zu gestalten.
Mal sind es ganz praktische Dinge, die hilfreich sind, z.B. Gleitgel bei Trockenheit, gute Narbenpflege bei Schmerzen, bestimmte Sexpositionen oder angepasste Medikamente, um die Nebenwirkungen aufzufangen. Dabei berät Dich am besten Dein/e Arzt/Ärztin.
Manchmal geht es aber auch darum, eine neue Art der gemeinsamen Sexualität zu finden. Dafür sind Sexualberater/innen und Sexualtherapeuten/innen am besten ausgebildet.
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Wie kann man die Lust wieder wecken? Wie steigere ich meine Libido?
Stress, Müdigkeit, Ängste und Sorgen können echte Lust-Killer sein. Und wenn der Körper aufgrund der Medikamente oder einer Operation nicht mehr so „funktioniert“ wie früher, kann Deine Libido ebenfalls darunter leiden.
Gegen die Müdigkeit und den Stress empfehle ich Achtsamkeitsbasierte Methoden der Stressreduktion (“MBSR”), Akupunktur und Yoga. Sie helfen Dir dabei, ein besseres Bewusstsein für deinen Körper zu erlangen und dich zu entspannen. Dies wiederum unterstützt Dich dabei, Deine sexuelle Lust anzuregen.
Manchmal helfen auch sinnliche körperliche Erfahrungen wie eine sanfte Massage oder Solo-Sex dabei, die körperliche Erregung wieder zu spüren.
Hilft alles nichts?
Vielleicht begehrst Du auch einfach etwas anderes als sonst. Gemeinsam gelebte Sexualität ist nicht zwingend mit Koitus verbunden. Sie kann auf ganz unterschiedliche Arten und Weisen lustvoll sein.
Auch das, was oft als „Vorspiel“ oder „Petting“ bezeichnet wird, gehört dazu und kann schon viele Bedürfnisse erfüllen.
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Was ist, wenn ich meinen veränderten Körper nicht mehr akzeptiere?
Ein veränderter Körper kann das gemeinsame Liebesleben beeinflussen, muss er aber nicht. Unsere Sexualität hat viele Facetten – sie funktioniert über körperliche Empfindungen, Gedanken, Beziehungsgestaltung und die eigene sexuelle Lerngeschichte.
Das Körperbild ist also ein Baustein von mehreren. Ändert sich an dieser Stelle etwas, ist deswegen nicht gleich das ganze Haus einsturzgefährdet. Zum Glück! Denn unsere Körper verändern sich fortwährend durch das Altern, Schwangerschaften o. ä., ohne unser Sexleben gleich zu gefährden.
Trotzdem kann Dich Dein verändertes Körperbild natürlich verunsichern oder zu Unwohlsein führen. Für viele von uns sind schon leichte Veränderungen durch z.B. Gewichtsschwankungen oder Alterungsprozesse, eine Herausforderung. Erlebst Du eine besonders schnelle und gravierende körperliche Wandlung, kann das besonders schwer sein.
Zudem sieht Dein neuer Körper vielleicht nicht nur anders aus, sondern fühlt sich durch z. B. einen veränderten Hormonhaushalt oder Nebenwirkungen von Medikamenten, auch anders an.
Oft braucht es Zeit (und Geduld), um eine Veränderung in das eigene Körpergefühl zu integrieren und sich damit wohl, begehrenswert und attraktiv zu fühlen. Auf dem Weg dahin helfen Dir vielleicht Dinge wie z.B. eine Perücke (bei Haarverlust) oder spezielle Unterwäsche (die Narben verdeckt oder bestimmte Stellen stützt).
Außerdem kann Dich Solo-Sex dabei unterstützen, Dich Deinem Körper und Deiner Sexualität wieder zu nähern, indem Du
- nachspürst, wie sich bisher als lustvoll empfundene Berührungen jetzt anfühlen,
- mit Qualitäten spielst, ausprobierst welche Berührungen sich an welchen Körperstellen jetzt vielleicht anders, angenehmer, intensiver … einfach besser anfühlen.
Du wirst merken, wo und wie sich Dein Körper gut anfühlt und er Dir Lust bereiten kann. Wenn Du über das Spüren wieder in deinen Körper findest, steht Dir sein neues Aussehen vielleicht auch weniger im Weg.
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Was ist, wenn mein Partner mein verändertes Körperbild nicht mag?
Eine plötzliche Veränderung durch z. B. eine Brustamputation kann (muss aber nicht) auch für Deine/n Partner/in eine Umstellung sein. Vielleicht werdet ihr Eure gemeinsame Sexualität neuen Gegebenheiten anpassen müssen.
Wichtig ist, dass ihr im Gespräch seid und bleibt – Eure Sorgen, Ängste oder Wünsche bezüglich der Krankheit, Eurer Beziehung und/oder Eurer gemeinsamen Sexualität offen miteinander teilt. Zum einen kommt Ihr Euch dadurch nahe und fühlt Euch verbunden. Geklärte Verhältnisse können außerdem ziemlich libido-förderlich sein.
Nicht zuletzt vermeidet ihr so Missverständnisse. Die machen nämlich alles schwerer: Angenommen, Du fühlst Dich unwohl mit Deinem „neuen“ Körper und sorgst Dich, dass Dich Dein/e Partner/in nun nicht mehr so anziehend findet. Du glaubst, etwas in dieser Richtung wahrzunehmen und ziehst Dich zurück. Dein:e Partner:in missversteht dies als Ablehnung und beginnt sich ebenfalls zurückzuziehen, was Du wiederum als Bestätigung Deiner Sorge siehst. Ein Teufelskreis, der möglicherweise auf falschen, unausgesprochenen Annahmen beruht. Denn vielleicht geht es Deiner/m Partner/in ganz anders und Dein veränderter Körper ist für sie/ihn gar kein Thema.
Wenn doch, tut es deiner/m Partner/in bestimmt gut, mit jemandem Außenstehenden zu besprechen. Auch unangenehme Gefühle oder Gedanken brauchen Raum, damit sie wieder weiterziehen können.
Wenn ihr im Sprechen über Sex nicht so geübt seid, gönnt Euch Unterstützung (siehe unten).
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Kann Sexualität zum Heilungsprozess beitragen?
Für manche Menschen wirkt sich Sexualität tatsächlich positiv auf den Heilungsprozess aus. Dafür verantwortlich können folgende Einflüsse sein:
- Beim Orgasmus werden bestimmte Hormone ausgeschüttet, welche Schmerzempfindungen reduzieren und somit das Wohlbefinden steigern können.
- Außerdem bauen Berührung und Nähe Stress ab und haben eine entspannende Wirkung. Beides unterstützt das Immunsystem bei seiner Arbeit.
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Was willst Du unserer Community noch mitgeben? Hilfreiche Tipps?
Ihr habt das Recht darauf, dass es Euch so gut wie möglich geht, auch wenn Ihr an Krebs erkrankt seid und Euch gerade dieser äußerst schweren Herausforderung stellt.
Wenn ihr also unter einer Veränderung Eurer Sexualität leidet, sprecht dies bei Euren Ärzt/innen an oder sucht Euch Unterstützung bei Sexualberater/innen, Sexualtherapeut/innen oder Paartherapeut/innen.
Wer gerne mehr wissen möchte:
- Das Deutsche Krebsforschungszentrum und Krebsinformationsdienst (dkfz) veröffentlich zwei tolle Broschüren: “Weibliche Sexualität und Krebs” und “Männliche Sexualität und Krebs”. https://www.krebsinformationsdienst.de/service/iblatt/krebspatientin-sexualitaet.pdf https://www.krebsinformationsdienst.de/service/iblatt/krebspatient-sexualitaet.pdf
- Außerdem empfehle ich das Buch “Krebs und Sexualität – ein Ratgeber für Krebspatienten und ihre Partner” von Stefan Zettl und Joachim Hartlapp (Weingärtner Verlag).