Oncovia: Können Sie sich selbst kurz vorstellen und erklären, wie Sie zu der Entspannung und Kunstarbeit gekommen sind?
Patricia: Mein Name ist Patricia Gottbehüt, ich habe lange als Designerin gearbeitet und dann vor ein paar Jahren eine Weiterbildung zur Kunsttherapeutin gemacht. Ich wollte einfach gerne etwas anderes machen, künstlerisch mit Menschen arbeiten. Da ich selber seit acht Jahren im Tara Rokpa Prozess bin und dort die wunderbare Verbindung von Entspannung und der Möglichkeit sich künstlerisch auszudrücken kennengelernt habe, wollten ich und eine Kollegin das gerne als Kurs anbieten.
O.: An wen richtet sich Ihr Kursangebot?
P.: Der Kurs ist für Frauen, die an Brustkrebs erkrankt sind bzw. erkrankt waren. (Mehr Informationen finden Sie hier!)
O.: Was bieten Sie genau an? Können Sie auf die einzelnen Kurse genauer eingehen?
P.: Die Methoden und die Struktur, der Aufbau des Kurses sind einfach. Wir möchten den Frauen gerne einen geschützten Raum anbieten. Dort können sie mit Hilfe von Entspannungsübungen zur Ruhe kommen und sich mit Kunstmaterialien ausdrücken.
O.: Was ist Tara Rokpa?
P.: Tara Rokpa ist ein Weg der inneren Entwicklung, der von einer therapeutischen Ebene bis zur meditativen Schulung reicht. Tara Rokpa wurde von Akong Rinpoche, einem tibetischen Arzt und buddhistischen Meditationsmeister, in Zusammenarbeit mit westlichen Therapeuten entwickelt. Alle Übungen aus dem Tara Rokpa basieren auf Selbstfürsorge und Mitgefühl und sind nicht religiös gebunden.
O.: Wieso ist es wichtig, während einer Krankheit wie Brustkrebs seine Gefühle zum Ausdruck zu bringen? Inwiefern beeinflussen unsere Gefühle einen Krankheitsverlauf?
P.: Durch die Diagnose Brustkrebs ist von einem Moment auf den anderen nichts mehr, wie es vorher war und man ist schonungslos mit der eigenen Vergänglichkeit und Endlichkeit konfrontiert. Viele erleben die Diagnose als totalen Schock und haben das Gefühl, dass ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Die Verarbeitung und Bewältigung dieser starken Gefühle und Ängste, denen man in dieser Situation ausgesetzt ist, wird durch die Kunstarbeit und den kreativen Ausdruck unterstützt. Dem verletzten Inneren kann Raum und Gestalt gegeben werden. Über das kreative und spielerisch-experimentelle Ausprobieren von Farben und Materialien ist ein intuitiver Zugang zu den eigenen Ressourcen und Stärken möglich.
O.: Welcher Zusammenhang besteht zwischen Entspannung und Kunstarbeit?
P.: Die Entspannung kann mir helfen, in einem geschützten Raum fernab vom Alltag zur Ruhe zukommen und bei mir selbst zu sein. Einen unversehrten Ort in mir zu spüren oder wieder zu entdecken während ich durch heilsame geführte Meditationen in eine tiefe Entspannung gelangen kann, in der es nichts zu tun, nichts zu entscheiden gibt. Dieses Innere, auch Traurigkeit oder Wut, was auch immer da ist, kann ich durch die Kunstarbeit ausdrücken. So kann es möglich werden, sich zu trauen, diese, vielleicht auch verdrängten, Gefühle anzuschauen und die in jedem Menschen innewohnende, eigene Kraft wieder zu entdecken.
O.: Inwiefern trägt die Kunsttherapie zum Heilungsprozess bei? Was haben Sie für Feedback von den Betroffenen?
P.: Ich denke die Kunsttherapie hilft Ressourcen und Stärken bei sich selber wieder zu finden und zu stärken und hat so Einfluss auf den eigenen Umgang mit der Erkrankung. Alte Wege und Muster verlassen. Mit künstlerischen Mitteln einen Ausdruck finden, wo es keine Worte gibt. Das eigene künstlerische Schaffen bietet Raum für eine positive Selbstbegegnung.
O.: Können Sie uns vielleicht von einem Beispielfall berichten, und wie sich z.B. die Kunsttherapie auf diese Person ausgewirkt hat?
P.: Ich habe sehr viele verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Erkrankungen kennengelernt bzw erlebt. Jeder/jede ist anders damit umgegangen. Fast immer habe ich erlebt, dass die Kunsttherapie, der künstlerische Ausdruck neue Blickwinkel ermöglicht hat. Bei einer Patientin habe ich es sehr intensiv erlebt, wie sie sich über ihre inneren Bilder ihren Ängsten nähern konnte. Und gleichzeitig war da dieses Erleben – ich bin noch mehr als diese Krankheit, da gibt es noch eine Kraft in mir. Ab diesem Punkt ist tatsächlich eine spürbare Änderung eingetreten. Die Patientin, die vorher immer sehr mit ihrer Krankheit gehadert hatte und sich schwach und ausgeliefert fühlte, entdeckte eine andere Haltung und innere Stärke in sich. Das war sehr berührend.
O.: Haben Sie selbst Erfahrungen mit Brustkrebs gemacht?
P.: Meine Freundin und Kollegin Sabine Dreßler war selbst vor einigen Jahren an Brustkrebs erkrankt und ist heute wieder gesund. Sie konnte von den Entspannungsübungen und der Kunsttherapie und der damit verbundenen Selbstfürsorge und Selbstliebe sehr profitieren. Sowohl die Entspannungsübungen und Meditationen als auch die Kunstarbeit haben ihr geholfen, nach dem großen Schock wieder in Kontakt mit sich zu kommen und ihren großen Ängste, aber auch ihre Wut zum Ausdruck bringen zu können. Beides hat ihr neben therapeutischer Begleitung geholfen, wieder Boden und den Füßen zu bekommen. Sie hat es als sehr beglückend und heilsam empfunden, dass sie durch die Kunstarbeit ihren alten Glaubenssatz: „Ich bin nicht kreativ“ ablegen konnte und ihre große Liebe zu Farben und ihre Kreativität entdeckt hat. Seit dem kann sie die positiven und unterstützenden Kräfte, die Farben für sie haben, viel stärker als Ressource für sich nutzen.
O.: Worin sehen Sie die besonderen Stärken der Kunsttherapie, was andere Therapien eventuell nicht leisten können?
P.: Die Kunsttherapie arbeitet hauptsächlich nonverbal und ermöglicht einen intuitiven und kreativen Zugang zu den eigenen Gefühlen, sie bereichert und entspannt in Krisen oder kräftezehrenden Zeiten und zeigt andere Perspektiven auf.
Außerdem setzt sie positive, kreative Energien frei, macht Spaß und befreit den Kopf.
Die Kunsttherapie ist eine wunderbare Art der Therapie, Ressourcen und Stärken bei sich selber wieder zu finden und zu kräftigen. Kunstarbeit öffnet Seele und Geist und kann innere Erstarrung auflösen, indem sie das Erstarrte, Bewegungslose, Schwere zum Ausdruck bringt und so eine Veränderung dieses inneren Zustandes möglich macht.
Gerade das Medium der künstlerischen Mittel bietet sich an, einen Ausdruck zu finden, wo es keine Worte gibt. Der Prozess des eigenen Erschaffens steht im Vordergrund und bietet Raum für positive Selbstbegegnung.
Dies ist meist ein erster Schritt hin zu Veränderungen, die vielleicht anstehen, oder auch noch gar nicht an gedacht sein können. Ohne es zu denken, vermitteln sich Inhalte im künstlerischen Tun, die weiterhelfen können, an den eigenen Themen zu arbeiten.
O.: Was würden Sie uns und unseren Leser/innen noch gerne mit auf den Weg geben?
P.: Es gibt Menschen, die glauben, sie könnten nicht „richtig“ entspannen oder Meditation sei nichts für sie. Auch das Wort Kunstarbeit ruft bei einigen vielleicht schlechte Erinnerungen an den Kunstunterricht in der Schule und damit verknüpfte schlechte Erfahrungen und dem Fazit: „Ich kann nicht malen“ hervor. Aber weder bei den einfachen Entspannungs- und Meditationsübungen, die wir anbieten, noch bei der freien Kunstarbeit gibt es ein „richtig“ oder „falsch“ genauso wenig wie es ein „Können“ oder „Nichtkönnen“ gibt, sondern ein spielerisches Ausprobieren und schauen, was passiert. Wir möchten gerne einladen und Mut dazu machen, sich vielleicht von ganz neuen, guten Erfahrungen überraschen zu lassen, wenn man die eigenen Glaubenssätze und Ansprüche mal vor der Tür lässt.
O.: Vielen Dank Patricia. Das war sehr interessant.
Hier geht’s zur Website: http://entspannung-kunstarbeit.de/