Sara, 26 Jahre alt, hübsch, sorglos. Man meint sie hat das Leben, von dem jeder träumt: in einigen Tagen nimmt Sie mit Ihrem Mann den Flieger und begibt sich auf Weltreise.
Doch es kommt ganz anders. An einem Abend im März 2012, nimmt ihr Leben plötzlich eine Wendung, auf einmal wird alles in Frage gestellt: Sara hat Brustkrebs.
Wie reagieren, wenn einem mit 26 Jahren alle Projekte über den Haufen geworfen werden? Kein Job mehr, keine Wohnung, keine Möbel, kein Anspruch auf Arbeitslosengeld… woher nur die Kraft nehmen gegen den Krebs anzukämpfen?
Es erscheint unmenschlich… doch Sara hat es geschafft! Mit all ihrer Energie, ihrer Lebensfreude und ihrer Bescheidenheit.
Um zu verstehen, was damals in ihrem Kopf vorging haben wir ihr ein paar Fragen gestellt.
Ihre Freudenmomente, ihre Schmerzen, ihre Wünsche, ihre Schwierigkeiten… Saras bescheidene Art von ihren Erfahrungen zu erzählen berührt uns sehr. Ein schönes Treffen und eine tolle Lehre für die jungen Damen, die dieses Interview lesen.
Marine: Was passiert, wenn man als 26 jährige Frau erfährt, dass man Brustkrebs hat?
Sara: Es war ein schrecklicher emotionaler Schock. Immer habe ich gedacht, es würde die anderen treffen, doch dann brach auf einmal eine Welt für mich zusammen. Hinzu kommt, dass es wirklich besondere Umstände waren: Bereits seit einem Jahr bereitete ich mit meinem Ehemann eine Weltreise vor. Wir hatten uns entschieden aufzubrechen, 8 Monate zu reisen und anschließend in Australien zu arbeiten. Den Befund der Gewebeprobe bekam ich am 14. März 2012. Genau 12 Tage später wollten wir abheben, unser erstes geplantes Reiseziel war Japan. Wir hatten unsere Festverträge an den Nagel gehängt, unsere Wohnung aufgegeben, unsere Möbel verkauft. Wir waren überzeugt davon für eine längere Zeit nicht nach Frankreich zurück zu kehren. Gleichzeitig bekam ich nun die Diagnose: Brustkrebs. Wir waren mittellos, ohne einen Bezugspunkt, wir wussten einfach nicht wohin mit uns. Noch am gleichen Abend packten wir unsere Koffer und fuhren 100 km weiter zu meinen Eltern. Meine Wohnung in Lyon habe ich nie wieder gesehen und wenn man das so sagen kann, mein Leben dort auch nicht.
M.: Was waren die schlimmsten sowohl physischen als auch psychischen Nebenwirkungen?
S.: Die ständige Übelkeit und diese extreme Müdigkeit. Kurzatmigkeit und der enorme Kraftverlust. Aber auch der schreckliche Metallgeschmack im Mund, generell die Veränderung der Wahrnehmung von Geschmack, Mundschleimhautentzündungen und körperliche Schmerzen, vor allem im Magenbereich. Die Behandlungen verursachten bei mir eine Hepatitis. Meine Leber hat sehr gelitten. Ich war immer kurz davor alle Medikamente gespritzt zu bekommen. Ähnliches Problem, die roten Blutkörperchen, am Ende der Chemotherapie brauchte ich eine Transfusion.
M.: Wie haben Sie Ihren Haarverlust erlebt? Was geschah mit Ihren Wimpern, ihren Augenbrauen?
S.: Meine Haare, das war in Ordnung! Ich habe mich lange darauf vorbereitet und informiert. Ich wusste wann es losgeht und wie es passieren würde. Ich verstand diesen Prozess als Vorbereitung auf meine zukünftige Wiedergeburt. So dachte ich. Wenn meine neuen Haare wieder meine Nasenspitze erreichen, werde ich geheilt sein und glücklich im Leben stehen. Mein Mann hat ebenfalls eine sehr wichtige Rolle gespielt. Als ich mich ihm das erste Mal mit Glatze zeigte, hatte ich Angst, aber er zögerte nicht eine Sekunde und sagte mir, wie schön ich sei. Er hörte nicht auf, es mir immer und immer wieder zu sagen. Er gab mir Kosenamen, nannte mich kleiner Punk oder meine kleine Fluor-Kugel (in Anlehnung an die Behandlungen). Sein Blick und seine Worte haben mir enorm dabei geholfen, mich trotz allem schön zu fühlen.
Ich hatte Glück, da mir meine Wimpern und meine Augenbrauen zunächst nicht ausfielen. Doch auf einmal, eineinhalb Monate nach der sechsten Sitzung, verlor ich sowohl Wimpern als auch Augenbrauen. Ich hatte es überhaupt nicht mehr erwartet und fühlte mich nicht gut. Mit einer Perücke oder einer schönen Chemo-Mütze ist es möglich die Krankheit für die Augen der Gesellschaft zu verstecken, aber der Verlust von Augenbrauen und Wimpern verändert den Blick einer Person. Auf jeden Fall war das meine Angst. Also malte ich mir jeden Tag meine Augenbrauen auf. Außerdem verwendete ich Wachstumsserum für schnelleres Nachwachsen meiner Wimpern.
M.: In Ihrem Chemotherapie-Protokoll ist von einer Brustamputation die Rede. Sie waren dagegen. Warum? Wie trifft man in so einem Fall die richtige Entscheidung?
S.: Ja, das stimmt. Die Brustamputation war für den 20. November 2012, nach Beendigung all meiner Behandlungen, geplant. Diese Art von Protokoll hat viel Erfolg und erlaubt bereits 6 Wochen nach der Strahlentherapie eine Brustrekonstruktion. Aber ich hatte mich entschieden und die Operation abgesagt. Es handelt sich hier um eine sehr intime und tiefgründige Entscheidung, aber ich wusste, dass ich meine Brust und meinen Rückenmuskel umsonst verlieren würde. Ich war überzeugt davon, nicht rückfällig zu werden. Tief in mir hatte ich diese unerklärliche Sicherheit. Am Ende der Chemotherapie gab es von meinen 2 großen Tumoren keine Spuren mehr. Um auf Nummer sicher zu gehen, unterzog ich mich trotzdem einer Bestrahlung. Ich war mir der Gefahr eines lokalen Rezidivs bewusst, ich wusste es würden eventuell neue Gewebeproben auf mich zu kommen, aber all das war mir lieber als meine Brust und meinen Rückenmuskel zu verlieren. Schlicht und einfach habe ich auf meine Intuition gehört und nicht auf all die Ärzte, die mir oft genug sagten, vorher noch nie einen solchen Fall gehabt zu haben. Im Grunde war es schwieriger meine Entscheidung vor anderen zu rechtfertigen, als sie ursprünglich zu treffen! Aber nochmal, diese Entscheidung ist sehr persönlich und intim, ich möchte niemanden dazu anregen mich als Vorbild oder Beispiel zu nehmen.
M.: Welche alltägliche Handlung können Sie empfehlen?
S.: Sich schminken und seine Haut pflegen. Die Zeit, die wir haben, sollten wir nutzen, um Momente zu schaffen, die uns glücklich machen. Außerdem ist es wichtig sich wert zu schätzen und ein schönes Bild von sich selbst zu haben. Schminke bewirkt Wunder, ein blasser Teint verschwindet im Nullkommanix, der eigen Blick gewinnt an Tiefe, Wimpern und Augenbrauen sind nicht einfach verloren. Das hebt die Moral.
M.: Haben Sie einen Tipp, wie man mache Nebenwirkungen der Chemo lindern kann?
S.: Sich Gutes tun, sich auf sich selbst konzentrieren und sich von positiven Dingen umgeben. Ich für mich habe diese Zeit genutzt, um zu lernen, zu entdecken, mich zu belehren und mich neuen Themen gegenüber, wie Versorgung und Hilfestellung durch Verbände, zu öffnen. Dass es Menschen gibt, die sich ehrenamtlich um unser Wohlbefinden und unsere Heilung bemühen tut einem psychisch wirklich gut.
Was kann ich noch empfehlen? Reiki eine Pflegemethode, die dabei hilft innere Energien wiederzufinden, sich mental zu beruhigen und Ängste zu verlieren. Fußzonenreflexmassagen helfen gegen Schmerzen, Übelkeit und Schlafstörungen. Homöopathie hilft die Chemo und die Strahlen besser aushalten zu können. Und die Kunsttherapie hat es mir ermöglicht meiner Kreativität und meinem Unterbewusstsein freien Lauf zu lassen! Ich wollte meinen Kalender anders gestalten: mehr Termine für mein persönliches Wohlbefinden, als für Arzt- oder Krankenhausbesuche.
Auch Sport ist sehr wichtig. Ich habe nie damit aufgehört. Schwimmen ein bis dreimal pro Woche, Fahrrad fahren, Muskelaufbau… Selbst während den ersten Tagen nach der Chemo, wo ich mich immer extrem schwach und lustlos fühlte, habe ich mich zum Schwimmen gezwungen. 50 Minuten ohne Nebenwirkungen, jedes Mal spürte ich diesen Lebensmut, mein Geist war abgestellt. Manchmal kam ich aus dem Wasser, an der Grenze des Unwohlseins… doch gleichzeitig fühlte ich mich physisch und psychisch viel besser!
M.: Was ist Ihre Leidenschaft? Haben Sie sie mit Ihren Behandlungen vereinen können?
S.: Reisen! Zu jeder geschafften Etappe habe ich mir eine Reise gegönnt: 10 Tage Portugal mit meinem Mann nach meiner 3. Chemo; 15 Tage Türkei mit meinen Freunden, um das Ende meiner Chemotherapien zu feiern; 1 Monat Australien nach der Bestrahlung. Am letzten Tag meiner Strahlentherapie, müde und komplett verbrannt unter den Achseln, bin ich abgehoben. Und um das Jahr zu beenden 15 Tage la Réunion und 10 Tage Meditation in der Schweiz. Ein paar Tage vor Weihnachten kam ich gebräunt, voller Glück und Gelassenheit nach Hause. Ich wusste, dass ich weiter reisen wollte, es war eine Frage der Lebenseinstellung, die Krankheit sollte auf keinen Fall Oberhand gewinnen.
M.: Haben Sie viel mit Ihrem Umfeld über die Krankheit gesprochen?
S.: Ja, ich habe eigentlich alle meine Empfindungen mit meiner Familie und meinen Freunden geteilt. Ich wollte meine Krankheit runterspielen, ich wollte, dass sie verstanden wird, dass mein Umfeld mir ohne Berührungsangst begegnen kann, die Tabus brechen. Somit konnte ich meine Gefühle immer raus lassen, ich wollte keine negative Empfindung für mich behalten.
M.: Sie haben wahrscheinlich nicht mehr dieselben « existentiellen Fragen », die Menschen in Ihrem Alter haben, oder ? Wie gehen Sie mit Ihren Freunden um?
S.: Das ist wahr. Manchmal spüre ich eine große Kluft zwischen Menschen in meinem Alter und mir. Ich betrachte das Leben mittlerweile ganz anders und stelle mir nicht mehr dieselben Fragen. Die Krankheit hat mich wirklich verändert, mich reif gemacht. Ich nehme das Leben viel gelassener und leichter. Aber gleichzeitig versuche ich verständnisvoll zu bleiben: Wie sollen sie, die anderen, es denn wissen, sie haben es ja nie erlebt? Wenn mir das Beklagen oder manche Diskussionen meiner Freunde unangebracht oder übertrieben vorkommen, versuche ich mich etwas abzugrenzen. Anfangs haben mich solche Situationen extrem mitgenommen. Ich hatte zu große Lust all die anzubrüllen, die nicht aufhörten sich zu beklagen oder die sich nur auf ihr materielles und professionelles Leben konzentrierten. Aber ich verstand, dass dieser Kampf zwecklos war und ist und dass ich meinen eigenen Kampf zu kämpfen hatte. Also höre ich zu, gebe Ratschläge und manchmal verstumme ich, da ich weiß, dass Erklärungen nichts bringen. Das erzeugt nur noch mehr Wut und negative Reaktionen in mir.
Generell, stimmt es, ich umgebe mich lieber von positiv denkenden Menschen. Gegenüber kritischem Verhalten bin ich durchaus intoleranter geworden. Außerdem bleibe ich mir mehr treu, wenn man das so sagen kann. Und natürlich habe ich meine Freundinnen, meine Leidensgenossinnen, die teilweise das gleiche Alter wie meine Mutter haben, aber mit denen ich durch die Krankheit starke Verbindungen aufgebaut habe und mit denen ich mich super verstehe. Jedem das Seine. Ich kann nicht alles von meinen Freundinnen erwarten: dass sie mir zuhören, mich unterstützen und präsent sind, ist das Wichtigste. Glücklicherweise sind die meisten wirklich toll mit mir umgegangen, sie haben Überraschungen für mich vorbereitet, mir beste Freundschaft und Treue bewiesen. Das hat unsere Bindungen nur gestärkt.
M.: Haben Sie Kinder? Oder kommen durch den Krebs bei Ihnen Zweifel auf, was den Kinderwunsch betrifft?
S.: Nein wir haben noch keine Kinder, aber es ist der feste Plan eines Tages welche zu haben. Durch den Krebs sind bei mir keine Zweifel aufgekommen. Im Gegenteil, der Wunsch hat sich durch meine Erfahrungen nur verstärkt, ich glaube die Kinderfrage hat für mich viel mehr Sinn bekommen. Trotz einer sehr geringen Chance (10%), dass die Schwangerschaft normal verläuft, glaube ich daran, dass ich Teil dieser 10% sein werde! Ich glaube nicht an Statistiken. Von Anfang an habe ich entschieden all den Zahlen keinen Glauben zu schenken. Selbst die Ärzte sagen mir, dass ich in keine Kategorie passe: Ihre statistischen Tabellen beginnen mit der Altersgruppe 40+! Das Krebsrisiko, in meinem Alter, lag bei 0,3% und meine Überlebenschance bei 30%. Also können Sie sich vorstellen, dass mir Zahlen recht wenig bedeuten. Ich habe mich mehr auf meinen Glauben an das Leben als auf meinen Glauben an Statistiken konzentriert. Das Kinderprojekt hat für mich also mehr Sinn denn je, ein herrlicher Sieg des Lebens. Wäre ich nicht krank geworden, hätte diese Frage wahrscheinlich nicht denselben Geschmack für mich.
M.: Was sind Ihre nächsten Projekte?
S.: Ende Juni fahre ich für eine Trekking-Woche mit dem Verein „Jedem sein Everest“ (« A chacun son Everest », gegründet von Dr. Christine Janin) nach Chamonix in Frankreich. Im selben Zug würde ich gerne den Mont Blanc besteigen. Anschließend fahre ich 6 Wochen in eine ayurvedische Kur nach Indien. Dort suche ich Zerstreuung, inneren Ausgleich, physische und mentale Energie. Außerdem möchte ich meinen Organismus tiefenreinigen, er wurde in letzter Zeit genug vergiftet. Und natürlich geht es danach mit meinem Mann nach Australien, so wie es von Anfang an geplant war: Dieses Projekt haben wir nie aus den Augen verloren!
M.: Haben Sie je an Ihrer Heilung gezweifelt?
S.: Echte Zweifel, nein. Ich hatte Ängste und war unsicher, ja. Aber recht schnell habe ich eine Entscheidung getroffen. Als ich meine Diagnose erhielt, als ich den Tod auf mich zukommen sah, als ich den Ernst der Lage verstand, habe ich mich entschieden. Ich will leben. Koste es, was es wolle. Ab dem ersten Tag bemühte ich mich um meine Heilung. Die Medizin war für Notfälle da. Der Rest war meine Aufgabe. Ich wollte keine Zuschauerin sein, mich als Opfer darstellen, noch auf die ganze Welt sauer sein. Ich war in keinen Unfall verwickelt, in äußere Angelegenheiten, hier ging es um eine innere Auseinandersetzung zwischen mir und meinen Zellen. Also habe ich mich für mein Innenleben interessiert, für mich, ich habe mich entdeckt und entfaltet. Trotz all der Leiden, all der schrecklichen Dinge, die ich durchleben musste, empfand und empfinde ich meinen Krebs als Chance, eine Chance, jetzt ich selbst zu sein.
Ich würde meinen Bericht gerne mit einem französischen Zitat von Guy Corneau, einer meiner Lieblingsautoren, beenden. Er fasst meine Denkweise sehr gut zusammen:
„Es gibt die traditionelle Medizin, Ernährungsmedizin, Pflanzenheilkunde, die Medizin des Geistes, Psychotherapie… Und es gibt die Seelen-Medizin, die des kreativen Ausdrucks, der Liebe, der Freude. Dieser integrative Ansatz ist der Weg zum Erfolg, wenn es um Lebenskraft geht, wird kein Aspekt ausgelassen.“
Ein großes Dankeschön an Sara, für ihre Freundlichkeit, ihre Großzügigkeit und ihre Lebensfreude. Wir wünschen ihr alles Gute für die Zukunft, viele Kängurus und Koalas!